Leseprobe 1 "Wrack B":
Thorsten Oliver Rehm, Der Bornholm-Code
© Ruhland Verlag, 2017
Lars schaltete das Satellitentelefon aus. Gedankenverloren
strich er mit der Hand über seine Bartstoppeln
und blickte auf die an diesem Tag raue See.
Trotz des Seegangs hatten die Forschungstaucher
seines Teams heute die übliche Anzahl Tauchgänge
unternommen. Die Zeit für das Projekt war knapp
bemessen, jeder Tag auf See kostete riesige Summen.
Der Etat für diese Expedition war nur widerwillig
genehmigt worden. Umso effizienter musste
die Mannschaft arbeiten, wenn er eine Chance auf
Verlängerung des Projekts haben wollte. Seit den
gestrigen Ergebnissen wusste er, dass die angesetzten
elf Tage auf See nicht reichen würden.
Er schlenderte zum Heck der »Baltic Sea Explorer
I«, dem besten Forschungsschiff des archäologischen
Instituts, für das er seit nunmehr dreizehn
Jahren tätig war. Das Gespräch mit Frank war ein
Flop gewesen. Lars hätte darauf gewettet, dass er
seinen früheren Partner aus der Reserve locken
würde, doch dessen war er sich nun nicht mehr sicher.
Zweifelsohne waren sie hier, vor der Küste der
dänischen Ostseeinsel Bornholm, auf sensationelle
Funde gestoßen. Diese würden ihn auf die nächste
Sprosse seiner Karriereleiter führen. Doch ihm
fehlten die entscheidenden Teile im Puzzle. Alles
hier ergab für ihn in archäologischer und historischer
Hinsicht noch keinen Sinn. Er brauchte Frank
– seine Kompetenz, seine Erfahrung, und vor allem
seinen Riecher!
Franks wissenschaftliche Spürnase hatte sie beide
immer zum Erfolg geführt. Fast immer zumindest,
denn bei ihrem letzten gemeinsamen Projekt
war es anders gelaufen; doch sie würden an dem
damaligen Punkt wieder anknüpfen. Da war sich
Lars sicher! Ja, er war auf eine heiße Spur gestoßen,
auch wenn er noch nicht einschätzen konnte, wohin
sie ihn führen würde.
»Dr. Behrends! Dr. Behrends!«, rief ein Mann
aus der Tauchereinheit aufgeregt. »Kommen Sie
schnell! Das müssen Sie sich ansehen!«
An Bord befanden sich Salzwasserbecken. Dort
legten sie die aus dem Meer geborgenen Fundstücke
ein, um sie möglichst unter Luftabschluss zu
halten. Lars sah ein paar Leute des Teams um eines
der Becken stehen und debattieren.
Als er in die große Wanne blickte, weiteten sich
seine Augen. Er zog Handschuhe über und nahm
eines der Objekte aus dem Bottich heraus.
»Das kann nicht sein«, die Stimme versagte ihm.
Lars räusperte sich. »Aus welchem Wrack habt ihr
es?«
»Aus Wrack B«, antwortete ein anderer Taucher,
der sich gerade aus seinem Trockentauchanzug
pellte.
Lars erstarrte.
»Das kann nicht sein«, wiederholte er benommen,
wohl wissend, dass es doch so war – denn der Crew
unterliefen bei den Aufzeichnungen keine Fehler.
Trotz seiner Funktionsjacke bekam er eine Gänsehaut.
»Das kann einfach nicht sein.«
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Leseprobe 2 "Der Köder":
Thorsten Oliver Rehm, Der Bornholm-Code
© Ruhland Verlag, 2017
Nach zehn Tagen Mallorca wieder in Deutschland
angekommen, war Frank soeben dabei, seinen Koffer
auszupacken. […]
Während er nun ein Kleidungsstück nach dem
anderen in den Wäschekorb legte, wanderten seine
Gedanken zu Lars‘ Anruf zurück. Wann immer
Frank in den vergangenen Tagen nicht mit seiner
Arbeit beschäftigt war oder sich nicht auf die Kursgruppe
konzentrierte, schweiften seine Gedanken
zu dem kurzen Telefonat mit Lars. Er stand kurz vor
der Zerreißprobe – als würde von zwei Seiten an
ihm gezogen. Er wollte das ganze Bornholm-Drama
von einst von sich schieben – aber er konnte
kaum mehr an etwas anderes denken. Sollte er Lars
anrufen, um Genaueres zu erfahren? Vor ein paar
Tagen hatte er das Gespräch abgeblockt. Doch seither
zog die Neugierde an ihm – ein Strudel, der ihn
hinabzureißen drohte. Er musste eine Entscheidung
treffen.
Da klingelte das Telefon.
»Stebe.« Die Vorwahl von Dänemark kannte
Frank nur zu gut. Dänemark, das Land, in dem
er Jahre zuvor jäh einen Lebensabschnitt beendet,
vielmehr abgebrochen hatte und das er vor allem
mit einer Person, Lars, in Verbindung brachte. Die
Entscheidung für oder gegen ein weiteres Gespräch
fiel schneller als erwartet.
»Guten Abend, Dr. Stebe«, meldete sich eine tiefe
Männerstimme. Es war nicht Lars, aber die Stimme
kam ihm bekannt vor. Mit Doktor Stebe wurde er
schon lange nicht mehr angesprochen. Frank hatte
seinen Doktortitel, zusammen mit dem Institutsausweis
und seinen damaligen Träumen und Zielen,
in Rostock abgeworfen. Sinnbildlich zumindest.
Nach allem, was vorgefallen war, hatte ihm
sein akademischer Grad nicht mehr viel bedeutet.
Damals hatte Frank mit vielen und vielem gebrochen
und neu angefangen, wobei es ihn zunächst
ins Allgäu verschlagen hatte.
»Professor Clausen? Sind Sie das?«, fragte Frank
zögernd. Was wollte der Leiter des »Instituts für
Unterwasserarchäologie Ostsee«, kurz »IUAO«
genannt, von ihm? Frank überlegte, ob es jetzt zur
Gewohnheit werden würde, dass immer, wenn
das Telefon klingelte, sein Puls in die Höhe schoss.
Zumindest bei Anrufen aus der nördlichen Hemisphäre.
Er dachte an Lars, und da er eins und eins
zusammenzählen konnte, war ihm klar, dass dieser
Anruf eine Folge des ersten war.
Es war tatsächlich Professor Clausen. »Herr Dr.
Stebe«, fuhr der Chef des IUAO fort, »ich komme
ohne Umschweife zum Thema.«
Hat sich nicht verändert, der Mann, dachte Frank.
»Wir brauchen Ihre Unterstützung. Als freier
wissenschaftlicher Mitarbeiter sozusagen.«
Aha, als freier Mitarbeiter. In Frank stieg Wut
empor. Gleichzeitig weckte der Anruf seine Neugier,
denn dass diesmal nicht Lars anrief, sondern
Clausen selbst, hatte etwas zu bedeuten.
»Und um es gleich vorwegzunehmen, die Lösung
des Problems, für das ich Sie benötige, soll
am Geld nicht scheitern. Das Projekt hat höchste
Priorität beim IUAO und genießt einen gewaltigen
Zuschuss«, fügte Clausen hinzu. »Sie haben die
Leitung, und wir geben Ihnen freie Hand«, schloss
er sein Eingangsplädoyer ab.
»Wäre nett, wenn Sie mir sagen würden, um was
es überhaupt geht«, entgegnete Frank kühl.
»Wir haben etwas gefunden – etwas, nach dem
Sie all die Jahre gesucht haben. Drei Mal dürfen Sie
raten, was.«
Frank konnte förmlich hören, dass der Professor
süffisant lächelte. Doch er musste sich eingestehen,
dass er schon an der Leine zappelte – denn es war
klar, worum es ging. Er hatte den Köder geschluckt
und wusste, gleich würde er wieder Koffer packen.
Nur müsste die Kleidung wärmer sein, die Ostsee
war nicht das Mittelmeer. Ein Prickeln durchfuhr
ihn, sein Blick wurde glasig und in seinen Gedanken
war er schon vor Bornholm.
Nie hätte er gedacht, dass er sich wieder auf den
damals verlassenen Pfad begeben würde, doch nun
musste er es einfach tun. Es war seine Bestimmung,
seine Leidenschaft, sein Traum – und dieser Traum
war plötzlich wieder ganz nah. Zum Greifen nah.
Als ob es gestern gewesen wäre.
Noch einmal wollte er es versuchen, nur noch
ein letztes Mal. Er konnte nicht widerstehen, alles
in ihm zog ihn zurück in sein altes Leben, das
er irgendwo da draußen in der Ostsee versenkt zu
haben glaubte. Doch anscheinend nicht tief genug,
denn es war gerade dabei, wieder an die Oberfläche
zu drängen. Mit einer Geschwindigkeit, die ihm
den Atem raubte – es fühlte sich bedrohlich gut an.
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Leseprobe 3 "Die Datei":
Thorsten Oliver Rehm, Der Bornholm-Code
© Ruhland Verlag, 2017
Brenners Handy klingelte. Sofort beschleunigte
sich sein Puls. Es war nicht sein eigenes Smartphone,
sondern jenes, das ihm diese Leute zu Beginn
seiner – wie sie es nannten – »Kooperation« hatten
zukommen lassen.
Genau genommen lag es eines Morgens auf
Brenners Nachttisch, und das, obwohl er die ganze
Nacht bei verschlossener Kabine im Bett verbracht
hatte. Kein Hinweis dazu, nur eine Kurznachricht,
er solle das Telefon stets bei sich haben.
Brenner probierte, ob er damit auch selbst jemanden
anrufen konnte – ohne Erfolg. Es sollte diesen
Leuten einzig seine Erreichbarkeit sichern.
Was ihn erschreckte, war nicht nur die Tatsache,
wie es ohne sein Bemerken neben ihm landen
konnte. Noch viel mehr war es die eisige Stimme,
die sich dann, nach wenigen Tagen, bei ihm meldete,
und ihm lediglich eine Nummer diktierte, die
Brenner in festen Abständen anrufen sollte. Was
er auch tat. Zuletzt vor einigen Tagen – da hatte
er die Anweisung erhalten, aufzuzeichnen, was in
bestimmten Kabinen gesprochen wurde, und das
dann zu übermitteln.
Sämtliche Räume und Kabinen an Bord mussten
längst verwanzt gewesen sein, bevor sie ihn
überhaupt angeheuert hatten. Was der Mann am
anderen Ende der Leitung über ihn wusste, konnte
nur deshalb durchgesickert sein. Brenner dachte
an das Telefonat, das er kurz vor dem heimlichen
nächtlichen Besuch geführt hatte. Wie sonst konnte
der Unbekannte wissen, dass Brenner finanziell
bis über beide Ohren in der Tinte saß? Er hatte gewusst,
dass sich seine Lage zusätzlich verschlechtern
würde, wenn herauskommen würde, wie er in
sein Finanzdilemma geraten war.
Eigentlich hatte er mit dem Job beim IUAO ein
neues Leben beginnen wollen. Nun aber hatten diese
Leute ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht
und profitierten stattdessen von seiner kriminellen
Energie. Der Mann am anderen Ende der
Leitung hatte ihn mit Geld geködert und erpresste
ihn zugleich.
»Sind Sie sicher, dass Sie alle Dateien übertragen
haben?«, zischte der Anrufer nun.
»Ganz sicher«, stammelte Brenner.
»Dann haben Sie zuvor nicht alles erwischt«,
fauchte der Mann durch die Leitung.
»Das denke ich nicht. Ich …«
»Denken Sie nicht, vergewissern Sie sich, und
zwar sofort! Es fehlt eine entscheidende Notiz.«
»Und wenn es sie gar nicht gibt?«
»Dieser Mann ist so akribisch, er muss dazu etwas
angelegt haben. Durchsuchen Sie alles noch
einmal ganz genau, jeden einzelnen Ordner, jedes
kleinste Dokument! Zu allererst aber den Ordner,
den Sie mir zuletzt geschickt haben. Prüfen Sie, ob
es eine neuere Version davon gibt! Oder eine Änderung,
eine Ergänzung …«
Brenner wollte noch etwas sagen, doch der Mann
hatte aufgelegt.
Ihm rann der Schweiß über die Stirn. Die Sache
mit dem eiskalten Unbekannten wurde ihm allmählich
zu heiß. Er musste einen Weg finden, dem
zu entrinnen. Doch es schien aussichtslos. Mit flinken
Fingern gab er über die Tastatur ein paar Befehle
ein.
Auf dem Monitor erschienen rasch und unüberschaubar
alle möglichen Zeichen und Ziffern.
Dann fror das wirre Durcheinander plötzlich ein
und Brenner hatte sein Zielobjekt vor sich.
Ein Dateiordner – Der Bornholm-Code.
Er wischte sich über die Stirn, und einmal mehr
fragte er sich, was zum Geier hier an Bord seit ein
paar Tagen eigentlich los war.
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